Biblischer Verräter in neuem Licht: Theaterstück „Judas“ in Bad Aibling inszeniert

Nahmen den verdienten Applaus entgegen: (vorne, von links) Christoph Declara (Evangelist), Chorleiterin Anna Töller, Klaus Maier (Jesus), Roman Weltzien (Judas) und Gesamtleiter Karl Prokopetz. © prokop

Im Rahmen einer Theateraufführung in der St. Georg Kirche in Bad Aibling wurde das Ein-Personen-Stück „Judas“ der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans aufgeführt. Der Schauspieler Roman Weltzien schlüpfte dabei in die Rolle des biblischen Verräters. Für Abwechslung und Kontraste sorgte die Verknüpfung des Stücks mit der Johannespassion von Heinrich Schütz.

Bad Aibling

– Judas – wer wollte wohl aus Solidarität oder gar Sympathie diesen Namen tragen? Immerhin hat Dante ihn als Verräter in den untersten Höllenkreis seiner „Göttlichen Komödie“ gesteckt.

Der Namensträger im Ein-Personen-Stück „Judas“ der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans wirbt um Verständnis, stellt aber ans Publikum auch provokante Fragen, um dessen Gewissen aufzurütteln, und versucht seine Motive, seinen Charakter in einem von der offiziellen Lesart abweichenden Licht erscheinen zu lassen.

Burleske Rhetorik

Das geht nicht ohne Komik ab, Judas überschlägt sich mitunter in einer schier burlesken Rhetorik. Er ist gewissermaßen eine Buffo-Charge, und man glaubt dem virtuos-quirligen Schauspieler Roman Weltzien gern, dass er auch den Papageno der Zauberflöte im Repertoire hat.

Mit Headset bewaffnet eilt er geschäftig im großen Kirchenschiff von St. Georg in Bad Aibling umher, sprudelt über vor Argumenten für seinen prinzipiell guten Willen, hüpft aufs Dirigentenpodest und hält mit seiner auch in wildem Wortschwall stets minutiös kontrollierten Diktion das Publikum in Atem.

Der Clou aber und ein schlüssiger dramaturgischer Kniff ist, dass dieses Schauspiel mit dem Hauptwerk des Abends, der Johannespassion von Heinrich Schütz verzahnt wurde. Das schuf sowohl Kontraste wie auch Abwechslung, die Passion geriet, salopp gesagt, kurzweilig, ohne jedoch an intensiver Tiefe zu verlieren.

Heinrich Schütz starb 13 Jahre vor Johann Sebastian Bachs Geburt. Seine Johannespassion ist immer noch ein Geheimtipp. Ohne Instrumentalbegleitung und ohne Arien wie bei Bach ist dieses Werk von Schütz in seiner Schnörkellosigkeit ohne Kompromisse.

Die scheinbare Kargheit übte mehr und mehr einen Sog auf die Zuhörer aus, die fasziniert dem musikalischen wie theatralischen Geschehen lauschten. Freilich waren etliche Bänke in der allerdings sehr geräumigen Kirche leer geblieben. Die besondere Konzeption der Veranstaltung wie auch die exzellente Qualität der Interpretation hätten ein volles Haus verdient!

Karl Prokopetz, der die Gesamtleitung über den von Anna Töller ingeniös stimmtechnisch präparierten Beurer Chor innehatte, war der machtvolle Maestro, der mit fabelhafter Akkuratesse und zugleich immenser Sensibilität die Sängerinnen und Sänger fest im Griff hatte.

Das war unbedingt nötig, da Heinrich Schütz in den ebenso kurzen, wie pointiert geschliffenen Choreinsätzen eine professionelle Beherrschung aller musikalischen Tugenden fordert. Die erregten Rufe des Volkes wie „Hinweg! Hinweg! Kreuzige ihn!“ kommen auf unbetonten Taktteilen und in rasendem Tempo, wobei die einzelnen Stimmen sich überstürzend imitieren. Da zeigte der Chor, dass die kleinsten Details verinnerlicht waren und ohne Unschärfen in strahlender Klarheit erklangen.

Makellose Stimme

Im Gegensatz zu dieser expressiven Verdichtung durfte die Partie des Evangelisten sich aussingen. Christoph Declara, ein übrigens auch meisterhafter Pianist, gestaltete seinen Part mit einer seraphisch-makellosen Stimme. Der Evangelist ist bei Schütz nur berichtender Chronist und nicht wie bei Bach aktiv teilnehmende Partei. Die innere Anteilnahme jedoch äußerte sich in einem schlanken, weitausholenden Melos. Meditation und Dramatik: Ersteres wurde noch verstärkt durch die Mitwirkung der Gemeinde; begleitet von Herbert Weß an der Orgel durften die Zuhörer einige Choräle singen, welche die Handlung unterbrachen und sinnvolle Ruhepunkte markierten.

„Was ist Wahrheit?“ will Pilatus wissen

Die kleinen Rollen von Petrus, des Knechts oder der Magd konnten aus dem Chor besetzt werden. Klaus Maier gab einen ruhig-gefassten, edel-sonoren Jesus. Karl Prokopetz ließ es sich nicht nehmen, zum Dirigat auch noch in die Rolle des Pilatus zu schlüpfen. Mit kühl distanzierter Stimme stellte er schließlich die Frage eines aufgeklärten Römers: „Was ist Wahrheit?“

Sehen wir nun auch den Judas nicht mehr so eindimensional böse? Man kommt ins Grübeln: Was ist die Wahrheit über diesen „Verräter“. Keine Zweifel bleiben dem Publikum über die Aufführung der Passion des Beurer Chors unter Karl Prokopetz und den fulminanten Schauspieler Roman Weltzien – langer, dankbarer und herzlicher Beifall für alle Beteiligten.
Walther Prokop, 28.03.2024